Pressemitteilung BÖLW zu Deutscher Gentechnikpolitik

Pressemitteilung des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft vom 23.07.2020: 

Zwei Jahre und nichts passiert: Klöckner schiebt Umsetzung des EuGH-Urteils auf die lange Bank - Deutsche Gentechnikpolitik gefährdet Wirtschaft, Bürger und eigene politische Ziele

Berlin, 23.07.2020. Bereits am 25. Juli 2018 stellte der Europäische Gerichtshofs (EuGH), das höchste Gericht der EU, klar, dass neuartige wie herkömmliche Gentechnik reguliert werden muss. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), kommentiert:

„Gentechnik bleibt Gentechnik. Und was Gentechnik ist, muss auch dementsprechend reguliert werden. Dieses Urteil fällte der EuGH bereits 2018.

Fraglich ist, warum Julia Klöckner die Umsetzung des Urteils weiter auf die lange Bank schiebt. Schließlich ist die Ernährungsministerin dafür verantwortlich, dass neue Gentechniken nach dem geltenden Europäischen Gentechnikrecht reguliert werden. Das schließt unter anderem die Sicherheitsprüfung und Kennzeichnung von Crispr und Co. ein.

Durch ihr Nichtstun gefährdet Julia Klöckner Wirtschaft und Bürger.Genmanipulierte Pflanzen könnten Europas Landwirtinnen, Lebensmittelhersteller oder Kundinnen einfach untergejubelt werden, wenn zum Beispiel Saatgut aus Ländern außerhalb Europas importiert wird. Das zerstört das Vertrauen in die Bundesregierung. Sitzt Klöckner die Umsetzung des Urteils weiter aus, sind auch politische Ziele Deutschlands in Gefahr, wie etwa 20 % Bio bis 2030 oder keine Patente auf Nutzpflanzen und -Tiere.

Die Herausforderungen wie Klima-Krise, Hunger oder Artenschwund bleiben mit Gentechnik ungelöst. Es kommt vielmehr darauf an, wie wir das gesamte Gefüge von der Bodenfruchtbarkeit bis hin zu den Agrarlandschaften gestalten, wie wir Fruchtfolgen abwechslungsreicher machen und vielfältige, robuste Sorten wählen. All das müssen wir den veränderten Bedingungen anpassen – wir sehen hier bereits viele Erfolge, aber auch dringenden weiteren Forschungsbedarf. Eine ausgewogene und am Vorsorgeprinzip orientierte Forschungspolitik muss vor allem hierfür Mittel bereitstellen und eine entsprechende Infrastruktur ausbauen.

Entscheidend ist auch, mit einer enkeltauglichen Agrar- und Ernährungspolitik den gesamten Sektor resilienter zu machen.“


Hintergrund

Laut geltendem EU-Recht ist die Risikoprüfung von Gentech-Organismen vorgeschrieben. Der EuGH bestätigte 2018, dass das auch für neue Gentechnik gilt. Die Aufgabe der Richter war es, die neuen Gentechniken auf Basis der bestehenden Gesetze zu prüfen. Die Richter berücksichtigten dabei Ähnlichkeiten zwischen potenziellen Risiken von älteren und neuen Gentechniken vor dem Hintergrund europarechtlicher Grundlagen und verwiesen auf das im Umwelt- und Gentechnikrecht verankerte Vorsorgeprinzip. Jede andere Entscheidung hätte das geltende EU-Recht auf den Kopf gestellt.

Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht urteilte bereits 2010, dass dem Gesetzgeber bei der Gentechnik eine ‚besondere Verantwortung‘ aufgrund des ‚tiefen Eingriffs in die Lebensgrundlagen‘ obliegt.

Im EU-Gentechnikrecht ist die Risikoprüfung, Kennzeichnung und Verursacherhaftung verankert. Diese Elemente garantieren Züchterinnen, Landwirten, Unternehmen und ihren Kundinnen Wahlfreiheit. Und sie sind von entscheidender Bedeutung für wirksamen Schutz vor Kontaminationen. Nicht zuletzt gewährleisten sie auch eine wissenschaftsbasierte Bewertung der mit den neuen Gentechnik-Verfahren erzeugten Organismen.

Keine der neuen Gentechniken kann ohne wirksame und unabhängige Prüfung der Ergebnisse als harmlos angesehen werden. Das zu behaupten ist unwissenschaftlich. Denn Verfahren wie CRISPR-Cas können gravierende Veränderungen im Genom und darüber hinaus auslösen. Wie die Genmanipulation auf den Organismus oder die Umwelt wirken, muss deshalb zwingend durch eine Risikoprüfung geklärt werden. Und genau diese garantiert das aktuelle Gentechnik-recht.

Trotz gegenteiligen, immer wieder vorgebrachten Behauptungen: Nach erfolgter Zulassung können die Produkte der neuen Gentechniken in Verkehr gebracht werden. Und es kann daran, unter Beachtung der EU-rechtlichen Bestimmungen, selbstverständlich geforscht werden. 

Es ist aber jetzt wichtig, dass bei der Forschung nicht alles auf genau die eine Karte gesetzt wird, die bereits die letzten 20 Jahre vor allem Heilsversprechen statt Erfolge hervorbrachte. Es braucht dringend wieder eine unabhängige Risikoforschung, die derzeit gegen Null gefahren worden ist. Auch muss die neue Gentechnik realistisch beurteilt werden – und zwar entlang der Herausforderungen, die es zu bewältigen gibt. Bis heute ist es weder durch alte, noch mit der neuen Art der Genmanipulation gelungen, etwa Resistenzen gegen wirtschaftlich bedeutende Pilzkrankheiten im Getreide, höhere Erträge oder die Resilienz gegen Extremwetterlagen zu erreichen. Denn für solche Eigenschaften genügt es nicht, eines oder wenige Gene zu verändern – weshalb man hier mit klassischen Züchtungsmethoden leichter zum Ziel kommt.


Zur Pressemeldung des EuGH vom 25. Juli 2018:

https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018-07/cp180111de.pdf

Zum Urteil des EuGH vom 25. Juli 2018: 

http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=204387&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=708987


Züchtung ohne Gentechnik und damit ohne Risiken, Nebenwirkungen und Patente schafft schon seit fast 200 Jahren erfolgreich ertragreiche und angepasste Sorten. Besonders Öko-Züchter zeigen, wie innovativ und erfolgreich das Open Source System der Bio-Züchtung ist. Lesen Sie mehr zur Öko-Züchtung in der BÖLW-Position ‚Ökologische Pflanzenzüchtung: Ein Beitrag zu Vielfalt und Resilienz in der Landwirtschaft‘ unter: https://www.boelw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Pflanze/180518_BOELW_Position_Pflanzenzuechtung.pdf